altern

es ist kurz vor 2 uhr. samstagnacht. ich sitze im schwarzen café. die menschen, die vor ein paar stunden noch hier waren, um vorzutrinken, trudeln langsam wieder ein, um auszunüchtern. ich höre, wie die musik etwas lauter wird. so wird das hier gemacht: wenig publikum, musik leiser; viel publikum, musik lauter. ich unterdrücke das bedürfnis, der coolen kellnerin zu erzählen, dass ich vor 15 jahren auch hier gearbeitet habe. wie fand ich solche geschichten damals?

ich erinnere mich an ein älteres pärchen, das mir erzählte, dass sie seit 10 jahren jede woche ins schwarze café kamen. sie redeten darüber, welche räume damals noch nicht existierten. 10 jahre, dachte ich mir damals, das ist eine lange zeit! jetzt sitze ich hier und rechne ungläubig die 15 jahre aus. wie soll das bitte gehen? war ich nicht gerade noch in meinen 20ern? nein, auch das ist schon wieder fast ein halbes jahrzehnt her. ich flüstere „ekel-haff!“. die zwei jungen frauen, die neben mir sitzen, schauen mich skeptisch an und wechseln vielsagende junge-frauen-blicke. ich nicke ihnen lächelnd in altfrauen-manier zu.

die kellnerin bringt mir meine karottentorte. sie zeigt auf mein ipad und sagt: „hier sind keine laptops erlaubt.“ - „ich schreibe noch gerade zu ende, dann pack ich mein ipad (jetzt fühlt sie sich bestimmt lächerlich, weil sie ‚laptop‘ gesagt hat) direkt weg, okay?“ - „nein. das ist nicht okay.“ ich räume mein ipad ohne zu zögern in meine tasche und esse demütig meine karottentorte.

es ist jetzt 02:50. die zwei frauen sind bereits gegangen. die kellnerin will meinen teller abräumen. ich erzähle ihr, dass ich vor 15 jahren auch hier gearbeitet habe, und zeige auf ein bild an der wand, um ihr zu erklären, dass das damals auch schon dort hing und warum es aufgehängt wurde. heute ist sie vielleicht genervt. in 15 jahren wird sie auf diesem platz sitzen.

um 4 uhr klappe ich elke heidenreichs neuen roman „altern“ zu. ich schaue mich um. die meisten unterhaltungen sind laut und ergeben keinen sinn mehr. ich schreibe ein zitat aus dem roman auf: „nein, die jugendzeit war nicht schön. dreißig werden, das war schön.“